DIE DRITTE KAMMER - HANDLANGER DES MÖGLICHEN


Eine Pflanzung auf der Schloßinsel in Berlin-Köpenick
und die Gärtnerin Christine Buck

"Zum Park" steht in großen roten Buchstaben auf einer verwitterten Holztafel und weist mit einem roten Pfeil an Bauwagen vorbei über den Schloß-Vorplatz zum Weg seitlich in die Grünanlage auf der Schloßinsel von Köpenick. Die Anlage hat etwas melancholisch Versponnenes. Bronzeskulpturen, die einem Märchenwald oder einem Zoo entstammen könnten, stehen hier überall. Die Pflanzungen bestehen neben der großen Rasenfläche in der Mitte und dem alten Baumbestand, der das Inselareal zum Wasser hin säumt, aus heterogen zusammengewürfelten Beeten und Buschwerk.

So hat der Schloßpark nichts von seinem barocken Ursprung mehr - bis auf den streng gestutzten Linden-Korso oben auf dem Schloßplatz, der aber trotz formaler Intention keine historische Pflanzung ist. Und dann direkt unterhalb des Vorplatzes steht ein dichtes Buschwerk, das besonders ins Auge fällt, weil es durch seinen Schnitt barocke Züge trägt, formal aber eindeutig ins 20. Jahrhundert gehört. Geht man vom Park zurück zum Schloß, steuert man links auf die Pflanzung zu. Sie bedeckt die Anhöhe, die vom Rasen hoch zum Schloß-Vorplatz aufgeschüttet ist. Wie auf einer Bühne stehen Buchsbaumsträucher dicht beieinander, durchsetzt und gesäumt von großen Eiben, deren "Dach" in einer strengen Geraden abgeflacht ist.

Die Pflanzung verblüfft durch diese Strenge einerseits und durch eine gewisse Freizügigkeit bei der Behandlung der einzelnen Sträucher andererseits. Betrachtet man jeden Buxus-Strauch für sich, so könnte man ihn wie einen miniaturisierten Baum lesen - als Ensemble ergibt sich die Form eines Wäldchens und in Verbindung mit den schweren kugelig-wanstig geschnittenen Eiben erhebt sich ein auf die Anhöhe gestaffelter Chor - ein wohlkomponiertes Bühnenbild.

Natürlich erinnert der Formschnitt an Topiaries, die zunächst die Renaissance-Gärten Italiens bevölkerten und später dann von den Engländern in vielfältiger Weise abgewandelt wurden. Aber irgendwie sind die Formen der einzelnen Büsche zu "persönlich", um sich wirklich in die strengen Vorgaben des Formalen Gartens einpassen zu lassen. Und gerade diese persönliche Note in der gesamten Handhabung dieser Pflanzung ist das Auffällige daran - das, was den Betrachter in seinen Bann zieht. Dieser subjektive Zugriff bei der Bearbeitung jedes einzelnen Strauchs macht das "Moderne" daran aus, verweist auf eine "innerer Notwendigkeit" bei gleichzeitiger "äußerer Absurdität". Wir haben es hier also mit einer wirklichen "Skulptur" - im Sinne von "sculpere = schneiden" zu tun.

Die "Autorin" dieses skulpturalen Bühnenstücks ist Christine Buck. Seit 25 Jahren ist sie Gärtnerin im Osten Berlins, seit sieben Jahren betreut sie die Pflanzungen auf der Schloßinsel in Köpenick. Als sie ihre Arbeit dort begann, waren die Buxussträucher und Eiben auf der Anhöhe wild in alle Richtungen - vor allem nach oben - geschossen und standen an die drei Meter hoch. Das Barockschloß, an das der Park angegliedert ist, war - und wird nach seiner Restaurierung wieder - ein Kunst-und Gewerbe-Museum. Um dieses Museum vor Einbrüchen zu schützen, brachte man Videokameras um das Schloß herum an, die eine Beobachtung des Geländes ermöglichen sollten. Der Blick in den Schloßgarten jedoch wurde von den hochgeschossenen Sträuchern auf der Anhöhe verdeckt. Ein toter Winkel war entstanden, der die Videoüberwachung vereitelte. So bat die Leitung des Museums das Natur-und Grünflächenamt und mit ihm die Gärtnerin Christine Buck, sich der Sträucher anzunehmen, sie zu kürzen und in Zukunft niedrig zu halten, damit dieser tote Winkel wieder einsehbar würde. Formal wurde ihr jegliche Freiheit zugestanden.

Sie sägte alle Sträucher radikal ab und ließ nur die Stümpfe stehen, die nun in die Breite zu wachsen begannen, weil sie dazu gezwungen waren. (Diese Heckenpflanzen haben die Eigenschaft, jede gewünschte Form anzunehmen, in die man sie wachsen läßt oder in die man sie schneidet.) Da Christine Buck recht klein von Statur ist, sah sie sich genötigt, die einzelnen Sträucher so freizuschneiden, daß sie jeden Strauch erreichen und umgehen konnte. Und so wurden nach und nach aus den kahlen Stümpfen die immergrünen Heckenformen, die man heute sieht.

Christine Buck, die in ihrer Ausbildung zur Gärtnerin zwar gelernt hatte, Obstbäume und Rosen zu beschneiden, kannte den klassischen Formschnitt vor dieser Aufgabenstellung nicht. Dann übernahm sie die Heckenpflanzung und begann sich selbständig mit der Geschichte des Formschnitts im Formalen Garten zu beschäftigen. Aus Büchern eignete sie sich Wissen an, das sie dazu brachte, jeden einzelnen Strauch nach ihrem eigenen Formwillen zu gestalten. Eigentlich war ihr Ziel, die einzelnen Pflanzen so rund und kugelförmig zu schneiden, wie sie es auf Abbildungen der perfekten englischen und japanischen Vorbilder gesehen hatte. Aber sie schaffte es nicht, ihre persönliche Handschrift aus dem Akt des Schneidens zu verbannen. Sie selbst bemüht sich nach wie vor um wachsende Perfektion. Für den Betrachter ist aber gerade ihre Handschrift die Attraktion an diesem Stück Grün. Mit ganzem Einsatz und großer kreativer Intensität arbeitet Christine Buck daran, sodaß das Ergebnis eine "normale" Stadtparkbegrünung wohl um einiges übersteigt.

Interesse für diese eigenwillige Arbeit wurde schon bei unserem ersten Rundgang durch die Altstadt von Köpenick geweckt, weil unser Blick im Laufe von Jahren, in denen wir uns mit Gärten und Pflanzungen aller Art beschäftigen, das zunächst schwer Kategorisierbare sucht. Als wir dann auch noch zufällig die Gärtnerin bei unserem zweiten Rundgang persönlich kennenlernten und mit ihr ins Gespräch kamen, bemerkten wir sofort ihr Verflochtensein mit ihrer Arbeit. Christine Buck bezeichnete sich fast selbstironisch als das "Chefchen" dieser Heckenpflanzung - was sie natürlich nur sinngemäß, ihrem Verantwortungsgefühl nach ist, nicht gemäß der realen Hierarchie im Grünflächenamt der Stadt.

Auf der Grundlage dieser besonderen vorgefundenen Situation entwickelten wir die Idee zu einem Wettbewerbsbeitrag für die "StadtKunstProjekte" in Berlin-Köpenick im Sommer dieses Jahres. Wie schon in früheren Arbeiten, in denen wir virtuelle Gärtner-Figuren erfanden, die in gewisser Weise die "Schirmherrschaft" über unsere Projekte hatten, soll hier jetzt das erste Mal ein real existierender Gärtner zum Thema einer Arbeit werden. In der Vorgehensweise Christine Bucks, den von städtischer Seite eingegrenzten Handlungs-Spielraum bis zum Äußersten zu nutzen und damit eine gewisse, fast subversive gärtnerische Sprache zu sprechen - in dieser Vorgehensweise sehen wir Parallelen zu unserer eigenen künstlerischen Strategie. Daher portraitieren wir sie mit ihrer Pflanzung und dem Schriftzug "Handlanger des Möglichen". Die Vorlage zu diesem Gemälde ist eine rechnergenerierte Montage. Ein Großbild-Dia des Gemäldes lassen wir hochauflösend einscannen und aus den Daten einen ca. 70 qm großen Plot auf eine Plane ausdrucken, die an der Brandmauer, des einzigen offenstehenden Gebäudes (Grünstraße 4) auf dem Schloßplatz in Berlin-Köpenick angebracht wird.

Der Schloßpark soll ebenfalls in absehbarer Zeit erneuert werden - so wie derzeit das gesamte Schloß. Es existieren schon Pläne zu einer Rekonstruktion des barocken Vorbilds, deren Umsetzung allerdings noch nicht beschlossene Sache ist. Auf jeden Fall muß die von Christine Buck gehegte Heckenpflanzung irgendwann einmal dem Bagger und einer Neugestaltung weichen. Um die bedrohte Pflanzung vor einer endgültigen Eliminierung zu bewahren, möchten wir den in die Zukunft weisenden Vorschlag machen, sie an anderer Stelle noch einmal neu anzulegen. Da die Eiben tief und weit reichende Wurzeln besitzen, wird es wahrscheinlich nicht möglich sein, sie umzusetzen, wohl aber ist es möglich, die Buxus-Sträucher auszugraben und zu versetzen. Vorstellbar ist aber auch ein kompletter Neuentwurf, der das gärtnerische Engagement Christine Bucks wieder ins Spiel bringt. Ort und Zeitpunkt dieser Neugestaltung bleiben bis zur Bekanntgabe eines offiziellen Termins natürlich offen. Nur diese Andeutung soll einen Ausblick auf das Mögliche geben...

Wettbewerbsbeitrag zu "StadtKunstProjekte", Berlin-Köpenick, 23.6. - 31.8.2000,
Kuratorin: Heike C. Müller, Berlin