Bittermann&Duka/Ifau/Peter Arlt

TARNEN & TÄUSCHEN - Operative Analyse/Getarnte Aktion/Angetaeuschte Bildbilanz

Einführungstext in das Vorhaben zum Workshop "Politische Landschaft"
(August 1999, www. politische-landschaft.de)


Krieg ist nach Heraklit der Vater aller Dinge. Daher laeßt sich die Kriegslist als eine der ersten menschlichen Denkleistungen interpretieren. List ist auch eine Voraussetzung für das Phaenomen "Tarnung und Taeuschung" - wie uns das trojanische Pferd oder Siegfrieds Tarnkappe vermitteln.
Das Unsichtbarwerden, das Verschwinden des Subjekts ist demnach wohl einer der aeltesten Menschheitswuensche, der sich derzeit für viele im Akt der Selbstverbergung - einer Regel der Grammatik des Cyber Space - erfuellt. Aber auch zur Abschreckung aufzufallen ist eine beliebte Strategie der "Signalfaelschung" - wie nicht nur der Biologe weiß.

Um von einer „Tarnung oder Taeuschung“ zu sprechen, bedarf es dreier Figuren: dem Vorbild - dem Nachahmer - und dem Signalempfaenger. Die Identität des Vorbilds besteht aus einer gewissen Menge an Informationen, die die Oeffentlichkeit von ihm erhaelt. Der Nachahmer waehlt aus dieser Menge Elemente aus, um zumindest die Oberflaeche dieser Identität zu imitieren und von deren Vorteilen zu profitieren. Der Signalempfaenger nimmt diese oberflaechlichen Zeichen auf und laeßt sich über die Identitaet des Nachahmers taeuschen, indem er meint, das Vorbild vor Augen zu haben.

Beide Handlungen - tarnen wie taeuschen - muenden in zwei Bedeutungskategorien: zum einen dienen sie dem eigenen Schutz und zum anderen lassen sich so Strategien zur Manipulation bis hin zur Anwendung von Gewalt im Verborgenen entwickeln. Tarnen und taeuschen koennen sowohl mit dem expliziten Zeigen von Formen zu tun haben als auch mit deren Verbergen, das zur voelligen Verschmelzung mit dem Hintergrund fuehren kann. Immer handelt es sich um eine Maskerade, die einmal als laute "Warntracht" daherkommt, ein anderes mal als ein Verschwinden jeglicher Kontur, was eine perfekte Anpassung an die Umgebung zur Folge hat. Zeigen oder verbergen koennen aber natuerlich auch ein Doppelspiel sein, das der gesteigerten Verunsicherung des "Feindes" dient.

Die Muster sind vielfaeltig und koennen dem Chaos genauso dienen wie der Ordnung: die Natur verwendet beide Spielarten, die sowohl in Form von Schoenheit als auch Grausamkeit ihren Ausdruck finden, um ein Ueberleben der Arten zu gewaehrleisten. Guerillakaempfer entwickeln ebenso Tarn-und-Taeuschungsstrategien wie eine Staatsarmee. Betriebsspionnage bedient sich ihrer genauso wie ein Trojan Horse im Netz. Der schoene Schein in der Hochkunst ist ein aehnlich angelegtes Taeuschungsmanoever wie die alltagsverklaerende Subversion der Popisten beispielsweise - nur unter entgegengesetzten Vorzeichen. Klassische Stadtplaner tarnen ihren Anspruch auf Planungs-hoheit mit dem Versprechen, für die Gemeinschaft das Richtige mit allein ihnen zur Verfuegung stehenden Kompetenzen zu wollen. Kooperationsfreudige Urbanisten suchen nach offeneren, zunaechst enttarnenden Strategien, um nur bedingt kontrollierbare, sich staendig selbst veraendernde Stadtraeume zu kreieren. Alle Lebensbereiche sind geeignet, sie mit Tarn-und Taeuschungsmanoevern zu ueberziehen. Die Frage ist nur, welche Ziele mit ihnen verfolgt werden.

Der Beitrag der Gruppe "Tarnen&Taeuschen" zum Symposium "Politische Landschaft" ist "Manoevern" gewidmet, die bestehende Raumgrenzen und Verhaltensmuster anloesen und durch Ueberlagerung zu einer neuen Schnittmenge verbinden wollen. Ein solches Manoever ist immer dann erfolgreich, wenn raeumlich-soziale Umstaende nach deren Untersuchung zu einer Form gewandelt werden, die ein (verdecktes) Handeln im entsprechenden Kontext ermoeglicht, das dann wieder in neue, die Tiefen der erkannten Zusammenhaenge darstellende Formen muendet.

Da die Gruppe aus drei Kompetenzbereichen (Architektur/Soziologie/Kunst) zusammengesetzt ist, werden auch drei Schritte die Zeit des Workshops gliedern. Der erste Schritt dient der "Operativen Analyse", der zweite der „Getarnten Aktion" und der dritte der „Angetaeuschten Bildbilanz".
Die Teilnehmer der Gruppe sehen sich als Katalysatoren für die Recherchen, Kontextklaerungen, Interventionen und Formfindungen an "Tarnungen und Taeuschungen", die die Workshop-Teilnehmer im Laufe der fuenf Tage entwickeln werden.

Schwerpunktmaeßig übernehmen die Architekten der Gruppe die Verantwortung für die Phase "Operative Analyse". Ihr Vorhaben ist die Anleitung zur Herstellung einer guten Tarnung. Die dazu notwendigen Schritte sind die gleichen, die zur Schaffung konstruktiver politischer Handlungs-spielraeume noetig sind. Um politisch (gesellschaftlich) handlungsfaehig zu werden, muessen bestehende geschlossene Systeme neue Verknuepfungen und Erweiterungen eingehen.

Für beide Veraenderungen sind zunaechst zwei grundsaetzliche Arbeitsschritte noetig: Analyse des Operationsfeldes und die darauf fussende Entwicklung eines handlungsfaehigen Werkzeugs.
Eine genaue Orts- und Situationsanalyse ermoeglicht es, die wichtigsten Kontextparameter zu erkennen. Nach der Dekonstruktion des Ortes in seine wesentlichen Bestandteile und Merkmale, werden diese als Abstrakt wieder zusammengefuegt zu einer allgemeineren Form, die es ermoeglicht im analysierten Kontext zu operieren. Die operative Form, die daraus im Entwurf entsteht, traegt das Wissen ueber die Potentiale und Schnittstellen des Ortes in sich und laeßt sich als Strategie, Architektur oder Kleidungsstueck entwickeln. Als praezises Instrument kann dann diese operative Form zum Einsatz kommen. Gleichzeitig gibt die Analyse einer solchen Form wiederum Aufschluss ueber die eigentliche (verdeckte) Beschaffenheit des Ausgangs-Ortes.

Beispielhaft fuer die Aufzeichnung von Potentialen und Schnittstellen des Ortes wird ein Werkzeug eingefuehrt, das sich "White Box" nennt, die Groeße einer Zigarettenschachtel hat und ein Voice-Recorder ist. Die Benutzer erhalten dieses Taschen-Tool und fuehren es ueber einen bestimmten Zeitraum mit sich. Durch spontane Entsiegelung des Tools wird eine zeitlimitierte Aufnahme gestartet, also ein Soundscan erzeugt. Alle zeitlimitierten Soundscans werden gesammelt und in die uebrigen Funktionen der operativen Form integriert, um dann eine Transformation der Einzelbotschaft zugunsten einer Verdichtung aller Botschaften zu erzielen. Diese Verdichtung wird Teil des angestrebten Forschungsteppichs, auf dem sich durch einen moeglichen permanenten Wechsel von Innen und Aussen collagenhaft eine "Klangstadt" oder "Soundnatur" bilden kann.

Verantwortung für den zweiten Schritt, die "Getarnte Aktion", traegt der Soziologe der Gruppe. Sein Handeln im oeffentlichen Raum ist gepraegt vom Interesse an der Frage nach einem sich staendig veraenderden Politikbegriff innerhalb dieses Raumes, nach der Grenze zwischen privat und oeffentlich und an subversiven Aneignungsstrategien dieses Raumes. Nach der Analyse des noch naeher zu bestimmenden Ortes und einer Phase der Sensibilisierung fuer dessen Struktur, geht es jetzt um seine atmosphaerische Veraenderung. Ziel ist es, mit minimalen Mitteln, unauffaelligem Handeln und unscheinbaren Eingriffen (nicht-baulichen Interventionen) geltende Verhaltensregeln zu veraendern.

Die Aneignung des Ortes (eines Platzes, einer Straße, eines Geländes...) soll so subtil geschehen, daß sie quasi von selbst, also durch den Benutzer passiert. Es koennte Vorhandenes verstaerkt werden, auf Aktuelles (z.B. Wetter) reagiert werden, es koennten Fremdkoerper eingebracht werden, bestimmte Dichten überprueft und manipuliert werden. Es koennte spezifisches Verhalten in der Landschaft auf die Stadt uebertragen, Anpassungsfaehigkeiten getestet werden und ritualisiertes Verhalten aufgedeckt oder eingefuehrt werden. Die getarnte Aktion soll auf jeden Fall in jedem Stadium ihrer Entwicklung multimedial dokumentiert werden.

In Phase 3 heißt es: zurueck ins Museum. Hier uebernehmen die Kuenstler der Gruppe die Verantwortung für die "Angetaeuschte Bildbilanz". Das Dokumentationsmaterial wird im Museum gesichtet, hinsichtlich seiner im Aktionsprozess entstandenen operativen "Illusionsfaktoren" (= Elemente im Material, die Ansaetze zu strategisch vorgetaeuschten Raeumen und Handlungen enthalten) überprueft und nach kuenstlerischen, sprich autonomen Kriterien neu formatiert.
Das Museum als Haus wird ebenfalls gelesen und seine Lektuere fließt in die Lektuere der verdeckten Aktionen. Einen dritten Faktor bildet die Ausstellung "Radical Architectures", deren Exponate mit in den Akt des Verbildlichens einfließen sollen und darauf einen nicht unwesentlichen formalen Einfluß haben werden.

Die Grenze zwischen Kunst und Leben aufzuloesen ist einer der staerksten Impulse, die derzeit das Gesicht der Kunstszene praegen. Und doch ist der Kunstkontext immer noch das alles stuetzende Rueckgrat, das die sich ans Leben angleichende Kunst im Zustand der "Tarnung" haelt. Um in besonderem Maße der Malerei aus dem Dilemma ihrer vordergruendigen Materialfixierung und fehlenden sozialen Dynamik herauszuhelfen, bietet sich ein Ausweg über das Einfuehren der Achse "Aktion - Darstellung". Auf ihr laeßt sich das Spannungsfeld zwischen politischem Handeln und dem Gegenwaertigmachen von Gedachtem, Gefundenem und Erfahrenem in der Malerei ausloten. Auf dieser Achse bildet sich ein Spielfeld, auf dem der Trick des "Antaeuschens" zur Metapher fuer einen spielerischen Wechsel zwischen Ortsbegehungen, sozialen Begegnungen und malereiimmanenten 3D-Raumentscheidungen wird.

Hier soll nun ein großes Gemeinschaftsbild entstehen, das sich aus ganz unterschiedlichen Materialien zusammensetzen kann - einem Patchwork vergleichbar. Als Basisausruestung aber soll klassisches Malerei-Handwerkszeug zum Einsatz kommen wie Leinwand und Farbe oder Wand-malerei, um ein "Tarnmuster" zu erzeugen, das die Ergebnisse der "Operativen Analyse" und der "Getarnten Aktion" dem malerischen Prozess anverwandelt und deren urspruenglich gewollte Formen in eine neue, auf verschiedenen (Audio-)Visualisierungsstufen verknuepfte Landschaft aufloest.

Den letzten Tag wird eine Gemeinschaftsaktion bestimmen, die alle Kompetenzen nochmal ausdruecklich zusammenfuehrt und der Zusammenarbeit eine vielleicht unerwartete und fuer alle Beteiligten hoffentlich befriedigende Wendung offenhaelt - ein Ausblick, der nach den zahlreichen Treffen der Gruppe "Tarnen & Taeuschen", die dem Workshop vorausgingen, moeglich scheint.