WHAT YOU SEE IS WHAT YOU NEVER WILL GET
Katalogbeitrag zu "Landschaft_en - Wildflecken und Gartenreich"
in der Moritzburg, Halle, 2003

Tiefe Eingriffe veränderten das Gesicht der Elbauen bei Wörlitz besonders im 18. Jahrhundert: Das Entstehen des Wörlitzer Gartenreichs, aber auch einige Unwetterkatastrophen tragen dazu maßgeblich bei. Um den Garten nach Erfahrungen von Zerstörung nun effektiv vor Hochwasser zu schützen, baut man dort, wo 1794 bis 1797 der Sandsteintempel für die Mediceische Venus errichtet wird, einen Doppelwall, zwischen dessen Schenkeln sich das „Elysische Tal“ eröffnet. Es bildet mit der „Romantischen Partie“, der „Mystischen Partie“ und der von Grotten unterhöhlten Venustempelanlage einen Initiations-Weg, der im Aufstieg zur Venusstatue kulminiert und auf dem der Parkbesucher wie ein freimaurerischer Adept alle vier Elemente durchlebend zu vollkommener Naturerfahrung gelangen soll.

Der Architekt des Tempels, F. W. von Erdmannsdorff, besucht 1763 den Englischen Landschaftsgarten „Stowe“ in Buckinghamshire. Er regt Erdmannsdorff dazu an, in Wörlitz eine entsprechende Gesinnung in mythologischen Bildern gebaute Realität werden zu lassen. In Tivoli geht er 1766 zurück zu den Wurzeln, dem römischen Vestatempel, der ein durch mehrere Epochen immer wieder dargestelltes Motiv der Landschaftsmalerei ist. Claude Lorrain, dessen Bilder Erdmannsdorff zu etlichen pittoresken Szenerien im Wörlitzer Park anregen, wird daher neben William Kent zu seinem Vorbild.

Der Venustempel mutet aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wie einige dieser Claud’schen Bilder an. Nach Beendigung der Bautätigkeit entsteht 1797 ein Kupferstich von Karl Kuntz, ein gleichsam idealisierendes Nachbild, das den Rundbau selbst monumentalisiert und die Anlage durch geschickte Verzerrungen, obwohl nach der Natur gearbeitet, kompositorisch optimal ins Bild setzt. Die Stimmung des Blattes ist heiter, offen und geheimnisvoll zugleich, aber es wirkt auch steif und offensichtlich nach gängigen Kompositionsschemata konstruiert.

„(Re-)Konstruktion“ zeigt sich dann auch als verbindender Aspekt im gesamten historischen Prozeß des Wörlitzer Gartenreichs, der alle medialen Fäden zusammenlaufen läßt: in der Landschaftsmalerei, in der Gartenkunst, in der Gartenarchitektur und zuletzt in deren Abbild. Diese gegenseitige Wechselrepräsentanz wird heute um neuere einflußnehmende Medien erweitert wie z. B. um die Fotografie und den Rechner.

Den Blick aus der Vergangenheit in die Zukunft zu richten und nicht mehr nur „zurück zur Natur“, sondern auch auf „die Natur vor uns“ zu schauen, deren Schwinden uns vor neue Aufgaben stellt, ist heute kategorisch gefordert. Digitale Konstruktion von Natur als künstlerische Arbeit erscheint als ein Weg, mit ihren Optionen zur imaginativen Vorwegnahme von möglichen, neuen Naturszenarien Bilder zu generieren, die neben ihrer rein autonomen Existenz zu Vorbildern für reale Naturgestaltung werden und die dem Scheitern des Projekts der „Naturbeherrschung“ eine andere Wahrnehmung von Natur entgegensetzen.