DIE DRITTE KAMMER - BASISLAGER


Die Schrebergärten am nördlichen Ende des Planungsabschnitts fallen in wenigen Stunden. Der Mobilmachung der Bagger hält keines der kleinbürgerlichen "Lust-Schlößchen" - umgeben von ihren dichten Miniatur-Nutzpflanzungen - stand. Die Abrasur der Parzellen vollzieht sich schnell und gründlich. Zurück bleibt eine erdige Brache, auf der sich nun klarer denn je die konkrete Form des Grundrisses abzeichnet. Diesen Grundriss, der sich vor unseren Fenstern ausbreitet, haben wir einem Plan des Katasteramts entnommen und als Grundfläche für unsere Bild-Formate gewählt.

Zur gleichen Zeit zerhacken riesige Schaufeln weiterer Bagger die Asphaltdecke eines ehemaligen Parkplatzes. Von unseren Ateliers aus, deren Zusammenschluß wir "Basislager" nennen, sehen wir, wie in wenigen Wochen die Baggerführer die Baugrube vertiefen bis Flußsand sichtbar wird. Erdschichtungen treten zutage, die intensiv von Geologen untersucht werden. Sie entnehmen Bodenproben und fotografieren Details. Für einige Zeit ruhen daraufhin die Grabungen.

Der nächste Schritt beginnt: Die Häuserzeile im südlichen Planungsabschnitt wird von mobilen Pressluft-Hämmern und Alien-köpfigen Baggerschaufeln attackiert, bis auch das widerstandsfähigste Beton-Skelett in Trümmer fällt. Ökologisch bedenkliches Material scheint in einem der Keller gefunden worden zu sein. Tagelang jedenfalls saugen sie etwas aus den Trümmerhaufen durch dicke Schläuche in das Innere von Tanklastern.

An den Wochenenden kommen Helfer des Roten Kreuzes mit Ihren Hunden, um hier "Erdbeben-Einsatz" zu spielen und die Hunde auf den Ruinen in Suchaktionen abzurichten. Ein Baggerfahrer zeigt an einem anderen Wochenende seinen Kindern, was ein Bagger alles kann. Er surrt mit seinem Gefährt durch die sonntägliche Baugrube und winkt mit der Schaufel. Offensichtlich ist das verboten, denn jemand ruft die Polizei.

Die Baugrube hat nun Ausmaße angenommen, die an einen Ausnahmezustand denken lassen - Bürgerkriegs-und Erdbeben-Assoziationen drängen sich auf. Jede Erdbewegung zeichnen wir minutiös auf, halten unsere Kameras von oben auf den Platz, steigen in die Baugrupe, um Nahaufnahmen zu schießen und betreiben aktiven Baugruben-Voyeurismus mit Ferngläsern. Den Abtransport der Asphaltschollen und des Aushubs beobachten wir mit Faszination. Analog zu diesen großen Bewegungen vollziehen wir in den Ateliers unsere malerischen und schreibenden Bewegungen auf den collagierten Grundrissen des miniaturisierten Platzes. Die Entscheidung, die Baubewegung auf künstlerischer Ebene mitzuvollziehen stärkt das Bewußtsein, etwas Notwendiges zu tun, obwohl unsere Realitätsgrundlage künstlich geschaffen.

Schutzlos liegt das geöffnete Erdreich da. Noch fehlen die Betonmischer, die zur Gießung der Fundamente, zur Unterkellerung der Kaufhaus-Passagen aufgestellt werden sollen. Nur ein turmhoher Baukran wird eingegossen und weist als Vorbote auf die kommenden Baumaßnahmen. Jetzt ist ein Bifurkationspunkt im Planungsablauf erreicht: Noch ließe sich eine Gartenidee, die unsere Bilder und Pläne bevölkert, realiseren, noch nähme die Erde Samen, Wurzeln und Gewässer auf. Prekär scheint dieser Augenblick, der der Vorstellungskraft alles eröffnet. Und doch wissen wir, daß sich das Mögliche unaufhaltsam dem Unmöglichen entgegenneigt Der Druck des Kapital lastet zu schwer auf den Bauherren und so kann es ihnen nur darum gehen, das Erdreich so schnell wie möglich wieder zu lukrativeren Zwecken zu schließen. Nur unsere Bilder werden zuletzt von den Gärten erzählen, die auf diesem Platz hätten angelegt werden können, von den anderen Möglichkeiten, die die offene Erde auch noch zu bieten hat und deren Verwirklichung in den Großstädten kaum Raum gegeben wird.