DIE DRITTE KAMMER - DAS BEGEHBARE BILD


Der Wienerplatz ist ein Verkehrsknotenpunkt, der kaum je eine einheitliche Gestaltung erfahren hat. Unter unseren Fenstern fließt der Verkehr breit und röhrend, sammelt und zerstreut sich in viele Richtungen. Hier hält nur an, wer hinter einer der gesichtslosen Häuserfassaden, die den Platz umstehen, verschwinden kann, weil er hier wohnt oder arbeitet. Andere Gründe zu verweilen bietet der Platz kaum: Vielleicht noch ein zweifelhafter "Genuß im Vorübergehen", wie ein Imbisschild verheißt oder ein abrißreifes Kaufhaus, das zu billigem Massenkonsum einlädt. Die meisten Elemente des Platzes bestimmt der Verkehr: Schienen, Asphaltstrassen, Haltestellen, Parkplätze. Aber auch eine Großbaustelle, die laut Plan in ein weitläufiges Forum über einer U-Bahn-Station mit modernem Rathaus und großzügigen Einkaufshallen im amerikanische Stil münden soll, beherrscht das Bild. Lebten wir noch mit dem öffentlichen Geldfluß der 80iger Jahre, hätten die Städteplaner ihre Intentionen schneller und klarer umsetzen können. So stagniert hier ein Mega-Projekt seit fast 10 Jahren. Wir befinden uns an einem Nicht-Ort - zur Un-Zeit.

Aus diesem widersprüchlichen Sammelsurium städtebaulicher Tatsachen nun einen Ort zu gestalten, an dem zu verweilen sich lohnt, sehen wir als eine Herausforderung. Wir halten den Prozess seiner fiktiven Verwandlung bildnerisch fest und eröffnen so Einblicke in das Programmatische unseres Gestaltungsentwurfs, der durchaus wechselnde Gesichter haben soll. Der Grundriss des Wienerplatzes ist uns Vorgabe und Aussenbegrenzung einer idealen Gartenanlage - denn "Garten" wollen wir unser Vorhaben nennen. In einem überkommenen Sinne gleicht ein Garten einem begehbaren Bild. Unser Garten jedoch will wie ein Gemälde unzugänglich bleiben - Eintritt finden nur die Augen und der Geist. Ausschließlich Gärtnern sei Zutritt zu dem Garten gewährt; ihre umsichtige Arbeit recht?fertigt den direkten Kontakt zu den Pflanzungen.

Diese anthropofugale Haltung ist vorübergehend und kann als Experiment gedacht werden. Zum Ausgleich für diese Erlebnisverweigerung stehen im Gartenhaus Simulatoren, die die verschiedensten Rundgänge durch den Garten anbieten. Virtuell kann der Betrachter erfahren, was ihm defakto verperrt bleibt, um so seine Wahrnehmung von der emotionalen Qualität natürlicher Dinge indirekt, aber gezielt zu schulen. Hinter hohen Glasverschalungen können Ausblicksplattformen installiert sein, die helfen, den Garten wie von einem Tower aus zu überblicken. Mit Ausstellungen, Katalogen und Prospekten wird der Inhalt und die Entwicklung des Gartens erklärt, wird seine Bedeutung in einen historischen Rahmen gesetzt. Und mit all diesen Angeboten wollen wir als Künstler auf unserer virtuellen Plattform bleiben, um uns nicht zu früh in den komplexen Anforderungen einer realen Umsetzung zu verlieren.