DIE DRITTE KAMMER - POMOLOGISCHES CABINET


Die Pomologie war eine lukrative Leidenschaft von Fürst Franz von Anhalt-Dessau. Über zweihundert verschiedene Obstsorten ließ er in farbintensiven originalgetreuen Wachsnachbildungen veranschaulichen. So ermöglichte er seinen Untertanen, die sich größtenteils vom Obst-Anbau ernährten, theoretische Einblicke in die botanische Klassifizierung der Früchte. Aber nicht nur zu seinem „Pomologischen Cabinet“, zu seinem Herbarium oder seiner Gehölzsammlung hatten seine Landsleute Zutritt, sondern auch zu seiner Wörlitzer Garten-Anlage, die großzügig das frühklassizistische Schloß des Fürsten umgab und die nicht durch eine Mauer unzugänglich gemacht worden war.

Schon als 18-jähriger hatte er mit seinem Freund und Architekten Erdmannsdorff England bereist und dort das politische Klima des Parlamentarismus kennen und schätzen gelernt. Viele englische Adlige, aber auch zu Kapital gekommene Bürgerliche verfolgten das Prinzip der offenen Landschaftsgestaltung, das sich an die Ideen von Locke’s und Shaftsbury’s Naturphilosophie anlehnte. Eine Theorie besagt, daß der englische Landschaftsgarten zunächst den Gemälden Claude Lorrains und anderer Landschaftsmaler des 17. Jahrhunderts nachempfunden worden sei und später selbst die Landschaftsmalerei beeinflußt habe. Die Gartenanlage hatte aus einzelnen Kunstwerken zu bestehen, die der Betrachter des Gartens mit seinen Augen zu einem Gesamtkunstwerk zusammensetzen konnte und auch heute noch kann, wenn seine Bildung, Empfindungstiefe und Ausdauer es erlauben. Vor allem sollte der Landschaftsgarten Ausdruck der Freiheit des Menschen sein, sich seiner Vernunft zu bedienen und nicht von einem absolutistischen König unterdrückt zu werden. Die Natur selbst war zum Ersatz für den Monarchen geworden und ihr freies Spiel der Formen, das durch menschliche Hand nur leicht gelenkt werden sollte, wurde zum geistigen Vorbild der Zeit.
Der aufklärerische Geist des Fürsten Franz von Anhalt-Dessau, sein direkter Zugriff bei der Umsetzung von Ideen verhalfen ihm zu einem „Gartenreich“, das sich über 30 Kilometer, entlang der Elbaue von Dessau bis Oranienbaum, auf einer Fläche von 112 Hektar erstreckte und an dem von 1764 bis 1817 gebaut wurde. Sein Herzstück bildet der erste Englische Landschaftsgarten des Kontinents, die Wörlitzer Gartenanlage. Durch seine Weltläufigkeit auf der einen Seite - er reiste viel, auch nach Rom zu Winckelmann und Piranesi - und mit seiner humanistischen Überzeugung auf der anderen durchbrach Fürst Franz viele Herrscher-Tabus seiner Zeit. Er führte Armenhäuser, Feuerversicherungen, die Pressefreiheit und ein neues Schulsystem ein. Er öffnete aber auch seine Bibliotheken und Privatgemächer dem einfachen Volk, um so die monarchistische Distanz zwischen den Ständen auszugleichen. Als Folge der neuen Fruchtwechsel-Wirtschaft vermehrten sich die Erträge so rasant, daß er den Staat aus bitterster Armut zu höchster Prosperität führen konnte. Sein gesellschaftliches Reformprogramm verlief nach der Devise: „Belehren und nützlich sein“.

Dieser Fürst nun, dessen soziales Engagement sich die Waage hielt mit seinem gartenästhetischen Formsinn, hat Vorbildcharakter bis zum heutigen Tag. Sowohl Goethe als auch Marx maßen seinem „Musterstaat“ wirkliche historische Bedeutung bei, sodaß nicht einmal während der Zeit der DDR-Diktatur diesem eigentlich "dekadenten Kulturerbe" politische Relevanz abgesprochen wurde, und man das historische Gartenmonument sorgsam pflegte. Jetzt wird das Wörlitzer Gartenreich in seiner Bedeutungsvielschichtigkeit buchstäblich freigelegt. Mit Axt und Säge arbeiten neunzig Gärtner an der Offenlegung von Sichtachsen, die im Englischen Landschaftsgarten wichtigster Ausdruck des aufgeklärten Zeitgeistes waren und in dem so genannten „Toleranz-Blick“ kulminierten. Dieser Blick war das zentrale Anliegen des aufgeklärten Gartenbesitzers, dem die Versöhnung kultureller und religiöser Unterschiede am Herzen lag, dem Freundschaft mehr bedeutete als familiäre Bande und der einen Garten zum „eitlen Selbstzweck“ und als „formalistisches Blendwerk“ verabscheute. Viele Details der Geschichte des Gartens werden derzeit von Garten-Historikern intensiv erforscht und rekonstruiert. So ermöglichen sie die Rückbesinnung auf ein kurzes „goldenes Zeitalter“, das auch heute nichts an Überzeugungskraft verloren hat.

Wir lassen uns von dem Bedeutungsraum dieses Gartens inspirieren und suchen nach vergleichbaren zeitgenössischen Formen. Dabei sehen wir genau, daß die Wahl unseres „Bodens“ utopischen Charakter hat. Grund für diese Wahl aber ist die Überzeugung, daß Malerei jenseits von Abstraktionen, jenseits einer autonomisierten Motivwahl einer Aufgabe folgen und über das Bekenntnis zu einem - wenn auch frei gesetzten - Inhalt Erneuerung erfahren kann. In dieser Wahl sehen wir die Möglichkeit, an dem historischen Punkt anzuknüpfen, als Malerei die Landschaftsgestaltung beeinflußte und der Gartenbau zu neuen malerischen Motiven führte, was uns schon Hubert Robert und William Kent aus dem 18. Jahrhundert nahebrachten.