DIE DRITTE KAMMER

(Künstlerbuch, erschienen im Salon Verlag, Köln, 1997)


0. Kunstherz

"Camouflage“, sagt man, käme der Natur gelegen, wenn ihr das Risiko zu hoch erscheine, entdeckt zu werden. Einkleidungen in schöne Gewänder aus grünen Üppigkeiten, aus greller Eleganz oder erdigen Tönen seien ihr sicherer Zufluchtsort vor detektivischer Neugier von Botanikern, Biomimetikern und anderen Eindringlingen. Hinter all dem Spiel mit der Schönheit aber verberge sie ihr wahres Gesicht: Grausamkeit. Diese Janusköpfigkeit läge allen natürlichen Phänomenen zugrunde, betrachte man sie ohne rousseausches Sehnen. Der Natur ein gutes oder schreckliches Wirken zuzuschreiben, ist Moden unterworfen, wie es alle kulturellen Belange sind. Noch vor zehn Jahren zog man de Sade und seinen Hang vor, das menschliche und kreatürliche Leid mit zynischem Abstand als vermeintlich naturgegeben hinzunehmen. Heute sehen wir die Haltungen Rousseaus und de Sades als zwei Seiten ein und derselben Medaille und stören uns kaum an den Paradoxien, die in ihren unterschiedlichen Gedankenwelten aufscheinen. So ist unser Verhältnis zur Natur von der einschneidenden Erkenntnis geprägt, daß das, was wir Natur nennen, schon viele Male "kultiviert“ worden ist und sich somit wieder und wieder selbst relativieren muß.

1. Plankton

Dem Modul einer Orbitalstation vergleichbar schwebt das Modell durch die Schwärze des Raumes. In seinem Zentrum liegt die Zisterne in einen Hang gebettet. Am Beckenrand stehen Plastiken, die - angeregt von der Mikrowelt des Planktons - auf den lebendigen Urstoff des Wassers verweisen. Eingehüllt in schimmernden Gallert schweben die Plankter, wohin die Bewegung des Wassers sie trägt.

2. Aggregat

Bildnerische Ideen nicht nur aneinanderzureihen, sondern sie in eine systemische Konfiguration zu betten, erschließt sich uns als Methode. Den Prozeß der Einkreisung dieser Ideen belegen wir mit dem emblematischen Begriff "Die Dritte Kammer“.

3. Unkraut

"Die Dritte Kammer" eröffnet ein Terrain, das wir Garten nennen. Dieser Garten entsteht aus der mikroskopischen Erweiterung eines Zwischenraums, der aus der Naht einer Asphaltverschiebung gedeiht. Aus diesem Zwischenraum sprießt jenes Unkraut, das unsere Bilder nährt.

4. In den Fügungen

Auf unbebauten Flächen Gärten zu konzipieren, erscheint als Luxus. Herausplantiert aus der Brache der Großstadt dient der Garten als Chiffre der Versöhnung. Wir sehen unsere Chance darin, an dem historischen Punkt anzuknüpfen, als Malerei die Landschaftsgestaltung beeinflußte und der Gartenbau zu neuen malerischen Motiven führte.

5. Asphaltverschiebung

Asphalt wurde nach jahrhundertelanger Vergessenheit 1725 als Dichtungsmaterial für ein leckendes Gartenbassin in einem "jardin d'intelligence" Ludwigs XV. erprobt und seine Wasserundurchlässigkeit vom Hofstaat offen bestaunt. Inzwischen jedoch überzieht Asphalt als Straßenpech dicht das Innere der Städte. Der Zugang zu offener Erde scheint erschwert. Risse in Asphaltdecken begreifen wir daher als metaphorischen Ort für das Aufblühen fiktiver Gartenanlagen, deren Realisierung uns zunächst nur bis zur "anschaulichen" Modellebene interessiert.

6. Das begehbare Bild

Diese Gärten sind unzugänglich geplant. Nur Gärtnern ist der Zutritt zu den Herzzellen gewährt. Als Teil einer Versuchsanordnung denken wir uns diese fast anthropofugale Haltung, die als Contrapunkt zu der direkten Erlebnisverweigerung Simulatoren vorsieht, an denen Besucher selbst verschiedene Rundgänge durch die Gärten virtuell inszenieren können.

7. Die unsichtbare Fackel

Unseren "Boden" bildet der Denkraum der Utopie. Die Malerei öffnet tabuisierte Räume und gibt ihnen öffentliche Würde. Unsere Überzeugung ist, daß Malerei jenseits von Abstraktionen, jenseits von Autonomiegesten einer Aufgabe folgen und über das Bekenntnis zu einem - wenn auch frei gesetzten Inhalt - Erneuerung erfahren kann. Die Suche nach dieser Aufgabe erscheint uns derzeit als die größte künstlerische Herausforderung.

8. Der aechte Blumist

Die Rede der vier Blumisten:

Der Erste: "Die ganze Welt ließe sich zum hintersten Winkel im Garten machen, dem Ort der elektrisierten kindlichen Phantasie."
Der Zweite: "Der hinterste Winkel des Gartens ist der Ausgangspunkt des Bildentwurfs, der Ort des Sehnens und Träumens in der Kindheit, der uns heute zu neuen Bildideen verhilft."
Der Dritte: "Der hinterste Winkel des Gartens wird mit besonderen Pflanzen gestaltet, die seine Bedeutung als Ort derAnregung des Bilderflusses hervorheben."
Der Vierte: "Der hinterste Winkel des Gartens muß als Ort des verlorenen Paradieses der Kindheit gezeigt und vermittelt werden."

9. Das pomologische Cabinet

Nicht nur botanische Wachsmodelle finden sich in den Sammlungen, auch ausgestorbene Pflanzen werden hier nachgezüchtet, Wissen über sie zusammengetragen und ausgewertet. Die Gärtnerei ist ein Foyer der "Dritten Kammer", ein Ort der Suche und Anregung. Hier werden Menschen zusammengeführt, die dem Garten dienen.

10. Fließmodell

Der Darstellung eines Gestaltungsprozesses, der einmal nah an die Wirklichkeit herangetragene Gartenentwürfe liefert, ein anderes Mal Metaphern seiner selbst und des entworfenen Geschehens in ein Gefüge bindet - dieser Darstellung dient das Fließmodell. Bilder kommen und gehen, erzeugen und entziehen Bedeutung. Aus Willkür wird vorübergehend Sinn extrahiert und dem Raster des Spielbretts einverleibt.