KUNSTFORUM International, Band 145,
"KÜNSTLER ALS GÄRTNER", Mai bis Juni 1999


Bittermann & Duka

DIE DRITTE KAMMER (1. Teil)


"Der Garten ist seit dem ältesten Altertum eine selige
und universalisierende Heterotopie." Michel Foucault


Nicht zuletzt zur Befeuerung einer Kontroverse lud uns Paolo Bianchi Ende September '98 nach Linz ein, um an dem Symposium "Modern Nature - der Künstler als Gärtner" im Offenenen Kulturhaus teilzunehmen.

Unter dieser Voraussetzung wurde unser Vortrag ein Wettrennen um Begriffe, die - wollten sie sich im Diskurs um das Subversive halten - von unserer Bildersprache getragen werden mußten. Um unsere künstlerische Forschung zum Begriff des "Pittoresken" darzulegen, sahen wir uns gefordert, mit umfangreichem Bildmaterial über unser malerisches und sprachlich-gedankliches Vorgehen Aufschluß zu geben. Hier legen wir unsere Gedanken zum "Garten" und seiner Beziehung zur "Malerei" schriftlich dar und weichen so von der Form des mündlichen Vortrags nicht unwesentlich ab.

Spielfeld

Unter gemeinsamem Label arbeiten wir seit 1995 an einem Projekt, das wir "Die Dritte Kammer" genannt haben. "Die Dritte Kammer" ist ein fiktiver Ort, den wir aufsuchen, um ein Werk aufzubauen, das über unsere beiden vorher getrennt entstandenen Werke hinausweist. Einmal zeigt sich "Die Dritte Kammer" als Recherche-Bank (Ort des Sammelns), einmal als Plattform für einen kontroversen Malerei-Diskurs (Ort des Übergangs). Zum anderen kann man sie auch als reine Spielfläche betrachten (Ort der Verbindung). Dann wieder eröffnet sich in ihr ein Kabinett für die Sammlung von Ideen zu Pflanzvorhaben (Ort der Verwandlung). Diese vier Ebenen stehen in unterschiedlichen Beziehungen zueinander. Mal sind sie miteinander verflochten, mal treten sie getrennt auf - immer abhängig vom jeweiligen Kontext.


ORT DES SAMMELNS

Das gläserne Ornament

An beliebigen Un-Orten der Stadt, aber auch in vielen Gärten und in der freien Landschaft betreiben wir intensive Recherchen. Wir besuchen öffentliche Gärten quer durch alle Epochen und Stile. Aber auch jede Brache und jede undefinierte städtebauliche Situation kann wichtiger Gegenstand für die Sammlung sein. Auf diesen Wanderungen dokumentieren wir mit Fotos und Texten, wo einem heute das "Pittoreske" mit seinen so veränderten Gesichtern begegnet. Das Foto-Material versammeln wir dann in einem kleinen Archiv, das wir unter dem Titel "Die Dritte Kammer - Das gläserne Ornament" nach und nach veröffentlichen.

Die derzeitige Präsentationsform des "Gläsernen Ornaments" ist so gehalten, daß die technische Qualität der Fotos keine große Rolle spielt, wohl aber ihre Erscheinungsform auf den Wandtableaus, die einen Teil unserer Installationstechnik darstellen. Einzelne Dias werden aus nicht allzu großer Distanz auf modellierte und bemalte Halbkugeln geworfen, die sich in Andeutung eines Glaskörpers zur Projektionsfläche wölben. So entsteht der Eindruck, als würden diese Halbkugeln von innen heraus leuchten. Die Bilderfolge der Projektionen baut sich analog zur jeweiligen Installationsthematik auf. Geht es um das Zitieren historischer Gärten, sind beispielsweise Gartenreisen im Archiv der Fundus für eine Zusammenstellung. Ist eine Recherche zu machen (wo beispielsweise Kitschelemente, die einst kunstgeschichtliche Bedeutung hatten, heute auftauchen), kommen Dias zum Einsatz, von denen wir meinen, daß sie unsere gedanklichen Behauptungen bildnerisch-assoziativ belegen können.

Als Archivare tätig zu sein, bereichert sowohl das Repertoire an Bild-Erfindungen, als auch die Wand-Installationen, die immer auch über das bloße Tafelbild hinausweisen. "Das gläserne Ornament" ist also eine logistische Basis "Der Dritten Kammer". Es liefert Hintergrundinformationen zu unseren inhaltlichen Ein?kreisungsmanövern.

Asphaltverschiebung

Auf den Stadtwanderungen entdecken wir manchmal auch Orte, die nicht nur interessant zu dokumentieren sind, sondern, die auch als Projektionsflächen für die gemalten Bilder tauglich scheinen. Auf dem Katasteramt des jeweiligen Bezirks kaufen wir dann Tischpläne von diesen bestimmten Orten der Stadt. Wir verwenden die maßstabsgetreuen Grundrisse als Vorlagen. Aus ihnen wählen wir bestimmte Formen für Bildtafeln aus, die wir dann teilweise in den besagten Formen als "shaped canvases" bauen lassen.

Schaut man mit einem etwas unscharfen Blick auf diese detailliert gezeichneten Pläne oder Luftaufnahmen, so entdeckt man, daß die Formen der gewählten Plätze oft den Fugen ähneln, die man im Asphalt finden kann, wenn der Frost die Asphaltdecke gesprengt oder Baumwurzeln kleine Verwerfungen erzeugt haben. Diese Dimensionsverschiebungen sind Anlaß gewesen, den Begriff "Asphaltverschiebung" in die systemische Konfiguration "Der Dritten Kammer" aufzunehmen.

Wie durch eine Lupe betrachten wir die Nähte dieser "Asphaltverschiebungen". In der Vergrößerung werden die Miniaturwelten zu Spielflächen. Das daraus hervortreibende Unkraut bildet den Keim zur Erfindung neuer Gärten. Diese Gärten malen wir auf den "shaped canvases" in Aufsicht und erzeugen so ganz unterschiedliche Szenarios, die sich aus einer schwarzen Hintergrund-Fläche ans Licht zu schieben scheinen.

Für unseren malerischen Ansatz ist daher "Unkraut" ein Katalysator. Schon auf Bildern vormoderner Malereiepochen inszeniert es seine Bedeutung in einer Ruinenmetaphorik, die ohne "Unkraut" nicht zu denken ist. Die "Ruine" verweist sowohl auf "Vanitas", als auch auf "paradise lost". Verknüpft mit dem Thema "Ruine" ist in der Malerei- und Gartengeschichte der Begriff des "Pittoresken". Das ästhetische Prinzip des "Pittoresken" ist geprägt von der Überschneidung zweier Linien: Die Gerade repräsentiert das Prinzip Kultur - in ihrem Dienst steht hier die Architektur - , die geschwungene Linie das Prinzip Natur - hier verkörpert durch das Unkraut. Die Überlagerung dieser beiden Linienarten erzeugt eine Weichzeichnung, die symptomatisch für einen bestimmten "malerischen" Stil ist.

Dieses Überlagerungs-Prinzip verfolgen auch wir in der Wahl der Mittel. Dem präzis vorgegebenen Schnitt der die Malerei grundierenden Fläche wird mit einem lockeren Pinselduktus entgegengearbeitet. Das Planhafte der gemalten Aufsicht verliert an Strenge durch eine vielschichtige Lasurtechnik. Wie alles Serielle, hat auch die Wiederholung dieser Grundformen konzeptuellen Charakter: Auf den Flächen selbst entsteht dadurch ein Freiraum, der wieder malerische Erfindungen möglich macht, die im Fall der "Asphaltverschiebungen" fast an die Grenze zur Abstraktion gehen.

An den Wurzeln

Ein anderer Zugang zu unseren Arbeitsmethoden liegt in historischen und theoretischen Interessen, die sich sowohl auf Malerei- als auch auf Gartengeschichte beziehen können. Diese Interessen schlagen sich in Texten nieder, die manchmal poetisch verdichtet sein können, die wir sowohl aus Anmutungen von Texten anderer zusammenbauen als auch selbst vermeintlich wisssenschaftlich oder journalistisch anlegen. Eine der Darstellungsformen innerhalb "Der Dritten Kammer" ist neben Publikationen das "Storyboard", eine Schnittstelle zwischen Sprache und Bild. Es ist zeichnerisch gestaltet und hat immer andere Darstellungszitate, wie z. B. Flow Charts oder Schautafeln, zur Grundlage. Die Fonts, mit denen die "Storyboards" layoutet sind, entwerfen wir am Rechner und erzeugen für jedes neue "Storyboard", zu jeder weiteren Ausstellung eine formal dem jeweiligen Thema entsprechende Headlineschrift. Die "Storyboards" selbst können Collagen sein, als Plotter-Ausdrucke ausgestellt werden, aber auch als Aquarelle angelegt sein.

Die historische Abfolge bestimmter Ereignisse erschließt sich uns als Klärungsmethode, um zu einer eigenen Position im thematischen Kontext des Gartens zu finden. Die folgenden Gedanken sind Ergebnis historischer Erkundungen und erörtern uns wichtige theoretische Zusammenhänge.

Mit dem ganzen Körper muß man einen Garten betreten, um ihn zu bauen und ihn zu erhalten. Er erfordert volle Konzentration und der Geist kommt hier zur Ruhe. So wirkt er dem Phänomen der "Zerstückelung des Selbst" mit seiner integrierenden Kraft entgegen. Zynische Kommentare als mögliche Stilmittel lassen sich schwerlich in ihm realisieren - das widerspricht seinen wahren Möglichkeiten. Egal welchen Stil man pflegt, das Handeln im Garten verbindet sich mit dem Prinzip Schönheit. Der Vorgang des Trennens (Inhalt/Form, Gedanke/Gefühl, Schönheit/Funktion), der der Moderne inhärent ist, wird im Garten relativiert. Seine Funktion liegt eher im Synthetisieren von Gegensätzen. Er ist Chiffre der Versöhnung. Der Garten bietet jedem den Raum, sein Ideal eines Weltmodells zu realisieren, seine Vorstellungen eines "locus amoenus" in grüne Taten umzusetzen. Gärten werden so zu Psychogrammen, zum Portrait des jeweiligen "Gärtners".

Preis für diese Entwicklung des Gartens vom Kunstwerk des 18. Jahrhunderts zum persönlichen Ausdrucksmittel des Einzelnen im 20. Jahrhundert ist die Reduktion gärtnerisch-gestalterischer Fähigkeiten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Der gerechte Blick in den öffentlichen Raum erfordert heute andererseits die Rücksichtnahme auf den größtmöglichen gemeinsamen Nutzen. Diese beiden entgegengesetzten Blickrichtungen auf den Garten sind Ergebnis der demokratischen Schulung unserer Epoche, die mit dem Paradigmenwechsel um 1800 beginnt. Trotz beider Existenzberechtigung führen sie zu einem Verlust an Bedeutungsräumen - sprich dem Garten als Kunstwerk - der sich im öffentlichen Raum negativ niederschlägt.

Als Folge der Französischen Revolution erzwingen sich Bürger Zugang zu den Gärten der Reichen - zunächst nur mit der puren Rachlust, sie zu zerstören. Dann aber entsteht daraus die Idee des Bürgerparks. Im revolutionären Frankreich steht landwirtschaftlicher Nutzen im Vordergrund und wird zum zentralen Thema der Landesgestaltung. "Schönheit" hingegen wird als Ausdruck von Dekadenz verworfen. Gleichzeitig verlieren die Bildenden Künste an öffentlichem Einfluß und durch diesen Verlust an allgemeiner Dienstbarkeit zerfallen sie in Momente persönlichen Ausdrucks. Neben dem Phänomen der Entwicklung eines linearen historischen Bewußtseins sind Subjektivität und Individualität Errungenschaften des 19. Jahrhunderts, die auch vor dem Garten nicht Halt machen. Die Landschaftsarchitektur, die durch diese gesellschaftliche Entwicklung ihrer Rolle als eigene Kunstgattung verlustig geht, wird nach und nach zu einem reinen Gechmacksphänomen.

Schriftliche Theorien zum Garten hatte es zu Zeiten der Erfindung des Englischen Landschaftsgartens im frühen 18. Jarhundert nicht gegeben. Stil war da noch Ausdruck einer Ideologie und wurde höchstens in Romanen und Gedichten verschlüsselt vermittelt. Das Wissen um diesen Stil und die Ausgeklügeltheit des Geschmacks war einer kleinen hochgebildeten Elite vorbehalten. Stilzitate gin?gen mit historischen Bedeutungen einher.

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts verlieren sich die Botschaften von Gartengedanken zugunsten eines stärker werdenden Formalismus, wie auch in den anderen Künsten. Aber auch die theoretische, insbesondere die journalistische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Garten setzt zu diesem Zeitpunkt ein. Den "Garten-Konsumenten" stehen nun eher visuelle Optionen zur Wahl. Die Codierung des Inhalts erfolgt immer häufiger auf einer rein persönlichen Ebene und verliert an allgemeingültiger Lesbarkeit. Im ausgehenden 19. Jahrhundert kulminiert dann dieser Subjektivismus, dieser Ausdruck persönlicher Exzentrik im Ekklektizistischen des Historismus. Die Relativität des Geschmacks resultiert bis heute aus diesen geschichtlichen Phänomenen.

So einengend die "individuelle Mythologie" eines selbsterfundenen Gartens sein kann, so leer kann purer Formalismus sein. Für uns liegt die Lösung des Dilemmas im Ausgleich zwischen beiden Extremen. Was vielen öffentlichen Gärten heute fehlt, ist eine anspruchsvolle künstlerische Gestaltung mit wirklichem Gehalt bei gleichzeitigem Einsatz aller Materialnotwendigkeiten, die zur Realisation der Ideen erforderlich sind. Bis dato liefern nur private oder halböffentliche Gärten positive Beispiele für die Umsetzung dieses Anspruchs. Der bekannteste ist natürlich das "Little Sparta" von Ian Hamilton Finlay. Er geht wieder an die historische Stelle zurück, als das Bühnenbild den Garten bestimmte und verknüpft dieses Inszenieren mit einer zeitgenössischen literarisch/philosophischen Intention. Er unterwirft sich nicht dem Niveau des Banalen, um Allgemeinverständlichkeit zu erzeugen, beschränkt sich auch nicht auf einen reinen Formalismus - bei aller Strenge seiner formalistischen Wahl im Detail. Die Kategorien der Trennung, die der Moderne für ihr Selbstverständnis so wichtig sind, werden hier aufgehoben zugunsten einer unerwarteten Synthese, die auch über die ironische Kurzweil der Postmoderne weit hinausreicht.