KUNSTFORUM International, Band 145,
"KÜNSTLER ALS GÄRTNER", Mai bis Juni 1999


Bittermann & Duka

DIE DRITTE KAMMER (2. Teil)


ORT DES ÜBERGANGS

Unschärfe

In den gemalten Bildern untersuchen wir die so offenkundig sichtbare Lücke zwischen dem abstrakten Denk-und Planungsraum der Garten-und Stadtplaner und dem subversiven Raum des Intimen, das sich auch im "hintersten Winkel des Gartens" (frei nach Gaton Bachelard) finden läßt. In diese Lücke zu gehen, erweist sich als fruchtbares Unternehmen, da sich hier besonders dem Maler ungeahnte Freiräume eröffnen. Den "missing link", von dem hier die Rede ist, sehen wir in dem häufig als Kitsch mißverstandenen Begriff des "Pittoresken". Die Darstellung des "Pittoresken" erklärt sich auf der Achse Malerei - Garten fast aus sich selbst heraus, dennoch bedarf der Begriff einer Neubestimmung aus zeitgemäßem Blickwinkel.

Im frühen 18. Jahrhundert ist das "Pittoreske" noch einfach das effektvoll komponierte Malerische, verweist der Begriff auf die reine Provenienz des Landschaftsgartens aus der Malerei. Die Bildhaftigkeit der Gartenprospekte steht im Vordergrund. "Bild" heißt hier noch "Inszenierung des Mythos der Menschheitsgeschichte". Den Engländern geraten verfallene italienische Renaissancegärten zum Ausdruck des "Pittoresken" schlechthin. Die Rückeroberung des von der Architektur besetzten Terrains durch die Natur, die nun das Selbst des freien Menschen verkörpert, ist philosophische Grundlage des Englischen Landschaftsgartens. Die daraus resultierende geschwungene "malerische" Linie steht im Gegensatz zur strengen geometrischen Konstruktion des formalen Gartens der Barockzeit. Malerei und Garten gehen hier noch Hand in Hand und beeinflussen sich gegenseitig, sowohl theoretisch als auch praktisch. Die Landschaftsgärtnerei ist konkrete Malerei. Sie malt mit den Dingen der Natur in der Wirklichkeit. Doch im Laufe der Geschichte wird das "Pittoreske" zum reinen Stil, der die Projektion jeder beliebigen Bedeutung in ein Landschaftsvakuum erlaubt. Es beschreibt dann nur noch so allgemein ästhetische Kategorien wie "elegante Unordnung" oder "anmutige Nachlässigkeit", läßt sich aber nicht mehr mit tieferen Bedeutungs-Kategorien, wie zur Entstehungszeit des Landschaftsgartens, aufladen.

Die heutige Gleichsetzung des "Pittoresken“ mit dem Begriff des "Kitsches“ resultiert aus der Entschei?dung der Geschichte, das Pittoreske intellektuell auszugrenzen und es mit solch negativen Eigenschaften wie "Sentimentalität“, "Realitätsflucht“ und "Verspieltheit“ zu belegen. Überlebt haben pittoreske Elemente z. B. im Film, im Comic und in Computerspielen. Auch die Produktwerbung hat sich in dem jetzt weltumspannenden Mono-System des Kapitalismus großflächig vieler pittoresker Stimmungsbilder bemächtigt. Diese historisch oft mißbrauchte und deshalb von der Kunst preisgegebene Formensprache wurde so Opfer der alles bestimmenden Körper-Geist-Dichotomie unserer Epoche. Die rufmordenden Gefahren des Sinnlichen brachten viele Künstler zu der Entscheidung, sich der Seite des Geistes und der Reflexion anzuschließen. Und das nicht zuletzt, weil das "Pittoreske" in allen revolutionären Phasen Europas als reaktionär eingeschätzt wurde.

Der Weg in den Kitsch ist ja bekanntermaßen das "universelle Schicksal jedes Kunstwerks, dessen geisti?ger Wert nur provisorisch gilt und das sich von seiner momentanen Originalität durch Popularisierung in Richtung Banalität verändert" (Abraham Moses). Auch mit der Optimierung von Kopierverfah?ren be?schleunigt sich die Verkitschung eines Originals. Beschleunigung und Vermassung verflachen seinen ursprünglichen Bedeutungsgehalt. Dieser Prozeß ist unkontrollierbar geworden und gerade die Willkür der umherschweifenden Bedeutungskategorien ergibt einen Handlungsfreiraum, den wir für "Die Dritte Kammer" nutzbar machen. In den Bildern greifen wir zu Kitsch verkommene Elemente wieder auf und wenden uns ihnen hier in ernster und malerisch präziser Form zu. Durch diese Zuwendung, durch diese neuerliche Aufladung in einem veränderten geistigen Umfeld - nämlich dem "Der Dritten Kammer" - erhalten diese Kitschelemente wieder eine gültige Aura.

Genauso verwenden wir rechnergenerierte Ästhetiken zur Neuschöpfung von gemalten Bildern, ohne mit dieser Ästhetik in Konkurrenz treten zu wollen: Pinsel oder Maus, beide sind Werkzeuge, die zum Bild führen. Wir lassen uns auf die Möglichkeiten des Rechners ein und verbinden diese gleich?zeitig mit den unerschöpflichen Angeboten der Malerei. Seit die Industrie Programme anbietet, die leichter zu bedienen und erschwinglich geworden sind, ist auch Künstlern, die den Rechner ganz unideologisch als Werkzeug und nicht ausschließlich als eigenes Medium verwenden wollen, der Zugriff auf diese Technologie mög?lich. Diesen Vorgang könnte man "Computer aided painting" - also CAP - nennen. Es reizt uns, ein bildnerisches Angebot zu liefern, das dem "Pittoresken" - mit allen er?kennbaren zeitgemäßen Referenzen - eine Neueinschätzung ermöglicht - und das nicht nur aus sicherer ironischer Distanz oder mit dem obligaten intellektuellen Wackelkontakt im Blick.

Die unsichtbare Fackel

Eines unserer zentralen Anliegen ist die Wirksamkeit der Bilder, die im Gegensatz zu der die Bilder grun?dierenden Wirklichkeit steht. Diese Differenz zwischen Wirklichkeit und Wirksamkeit ist ein maß?geblicher Bestandteil der Utopie - auch der historischen. Die Utopie will nicht wirklich werden, sondern wirksam sein. Ihr Ursprung liegt im Archetyp des "Utopos", was soviel wie heiliger, nicht betretbarer Ort bedeutet. Es ist der Ort, an dem die Gottheit wohnt und der den Menschen in Erschauern und Be?glückung gleichermaßen versetzen kann. Da der "Utopos" schwer in Kategorien zu fassen ist, stellt man ihn eher in Gleichnissen, Metaphern und Geschichten dar.

Eine Utopie wird nicht gebaut, nicht realisiert, ihre Darstellungsform ist sprachlich, manchmal plane?risch, zeichnerisch, aber es entsteht dabei kein einheitlicher systematischer Begriffszusammenhang. Dennoch konzipiert sich eine Utopie auf einer ernstzunehmenden Entwurfsebene, auf der keine oberflächlichen Heilsversprechen oder vordergründigen Schönfärbereien Gültigkeit haben. Die ent?stehenden Entwürfe reichen in das Innerste des Menschen, an seinen unberührbaren Kern, um dort in ihm etwas zum Klingen zu bringen, was normalerweise vor den zudringlichen Blicken der anderen geschützt ist. Jeder Plan, der an die Grenzen seiner Vollkommenheit getrieben worden ist, hat also die Utopie berührt. Daraus folgt, daß jede Utopie - sei sie nun politisch, künstlerisch oder religiös - etwas an sich hat, das über ihre bloße Gestalt hinaus auf ein "Nirgendwo" verweist. Dieses "Nirgendwo" ist ein Sehnsuchtsort, der Energien freisetzt, die Impulse zur Gestaltung der Welt in der Wirklichkeit abgeben - auch wenn diese Umsetzungen dann von den Utopien selbst weit entfernt erscheinen. Uns interessiert an der Utopie aber nicht der Aspekt der Nähe zur möglichen Verwirklichung, sondern die geistige Wirkkraft, die eben auch zunächst völlig abwe?gige Erfindungen in ihrem Bannkreis duldet. Die Utopie bleibt ein Nicht-Ort, auch wenn sie bisweilen mit dem Eu-Topos, dem "schönen Ort" verwechselt wird.

Der Utopie steht heute die Heterotopie gegenüber, die Foucault in verschiedenen Fassungen be?grifflich definiert hat. Seine früheste Definition ist für uns von Bedeutung, weil sie dazu beiträgt, die Ortung "Der Dritten Kammer" etwas zu präzisieren. Er entwickelt den Begriff als eine Reminiszenz an Gaston Bachelard aus den Räumen, an denen sich die Phantasien der Kindheit entzünden. Es sind Räume, die wirklich exi?stieren, die aber nicht die Sprache und somit das Denken, sondern das Emp?finden und Ahnen erreichen. Diese Räume bezeichnet Foucault zuerst als Heterotopien. Später dann sind es Räume, die außerhalb des normalen gesellschaftlichen Diskurses liegen wie Psychiatrien, Bordelle oder das Schiff. In der Zwischenzeit ist die Heterotopie zu einem völlig heterogenen Begriff mutiert, in den jeder seine divergieren?den Raumvorstellungen hineininterpretiert, die ihm im Augenblick wichtig erscheinen.

Uns interessiert aber der Ursprung dieser "anderen Orte", die noch der Traumebene der Kindheit ver?haf?tet sind, weil sie uns als Malern den Freiraum zur Erschaffung von Wunschorten liefert. Unsere Phantasien entzünden sich an realen Orten, wie dem Garten, den Foucault ebenfalls als Heterotopie kennzeichnet. Im Besonderen entzünden sie sich an dem "hintersten Winkel des Gartens", der sich nur in Bildern dar?stellen läßt, da wir uns an einem Nicht-Ort der diskursiven Sprache befinden - der He?terotopie. Im Gegen?satz dazu stellt die Utopie einen Nicht-Ort des öffentlichen Raumes dar. In unseren Bildern und Texten verbinden wir diese beiden Formen von Nicht-Orten. In den Bildern werden heterotope Szenarios entwickelt, in den Texten utopische Entwürfe angelegt. Beide zusammen erzeugen neue Ergebnisse auf der Ebene "Der Dritten Kammer".

Durch einen einmaligen Schöpfungsakt gelangt man vom Chaos der Realität zur Schaffung einer neuen Ordnung. Dieser Vorgang liegt jeder Utopie zugrunde. Das umgekehrte Prinzip begründet die Heteroto?pie: sie baut sich aus der Realität in die Welt der Vorstellungen als komplexes undurchschaubares Ge?bilde, das einen permanenten Bedeutungstransfer erzeugt. Dieser subversive Vorgang ist Grundlage al?ler Wunschwelten, die weit über eine reine Planungsrelevanz hinausgehen. Der Denkraum des Utopi?sten, der niemandem gehört, also nicht intim sein kann, birgt die Gefahr in sich, ange?füllt mit reiner Spra?che, seine sinnlichen, haptischen Darstellungsmöglichkeiten einzubüßen. Der intime Raum des Hetero?topisten, der sich geschickt dem Zugriff des Öffentlichen entzieht, ist sprachlos mächtig, aber unvermittelbar. Die Malerei ist ein wirksames Medium, den Übergang von der Planung zur Ausführung dieser Wunschgebilde darzustellen.

Uns gilt es, der Malerei aus dem Garten heraus einen Erneuerungsimpuls zu geben. Jenseits von Ab?straktionen, jenseits von Autonomiegesten kann das Medium Malerei einer Aufgabe folgen. Die Su?che nach dieser Aufgabe erscheint uns derzeit als Herausforderung. Die Lösung liegt im selbstgestell?ten Auf?trag zum Entwurf fiktiver Gärten. Die gedankliche Schleife einer vermeintlichen Angewandtheit des Bildes als Garten-oder Recherche-Entwurf verhilft den bildimmanenten Geschichten zu mehr Brisanz als es eine rein formalistische Wahl der Mittel vermag. Die Malerei bietet Darstellungs-Möglichkeiten, die auf der Pla?nungsebene der Architekten nicht existieren, weil sie Realitätsschnitte veranschaulichen kann, wo immer es notwendig erscheint. In dieser besonderen Qualität der Malerei sehen wir Teile ihrer Zukunft.

Da die Malerei es nicht leicht hat, sich aus dem Ruch des Kulturkonservativen zu befreien und dem Vorwurf, aufgrund ihrer Statik und Handwerklichkeit nicht gesellschaftsverändernd wirksam zu sein, kaum entgegenwirken kann, muß sie neue Impulse aus den anderen eher konzeptuellen oder kontextuellen Gattungen aufnehmen. Wir sehen einen Ausweg darin, die Kontextlosigkeit des autonomes Tafelbildes mit Hilfe eines metaphorisch wirksamen Inhalts wie dem Garten aus ihrem Gattungskäfig und dem Gefängnis der Autonomie zu befreien.

Durch den Verweis auf den Garten in unseren Projekten als einen Ort gesellschaftlicher und ästheti?scher Relevanz wird eine Dynamik erzeugt, die der Statik des Bildes positiv entgegenwirkt. Dennoch sind die Bilder seduktiv, ein kontemplatives Moment macht sich sichtbar. Auch wenn die malerischen Oberflä?chenbehandlung zum Teil rechnerbezogen ist, werden idealistische Refugien dargestellt. Dy?namische Projekte erfordern das Erzählen und Schreiben von Geschichten. Die Statik des Bildes eignet sich für fixe Projektionen, bei denen die Erzählungen bildimmanent bleiben. Wir verbinden diese Elemente zu mehre?ren Handlungsebenen und bewegen uns dadurch vom Text zum Bild, zum Garten und ebenso wieder zu?rück. Wir wandern also von Ort zu Ort: ob nicht existent, ob begrifflich vorstellbar, ob als Bild sichtbar oder real vorhanden - all diese möglichen Zustände der Orte bereichern "Die Dritte Kammer".