CAP - COMPUTER AIDED PAINTING IN "DER DRITTEN KAMMER"
(Künstlerbuch, Salon Verlag, Köln 2000)


Eines unserer zentralen Anliegen ist die Wirksamkeit der Bilder, die im Gegensatz zu der die Bilder grundierenden Wirklichkeit steht. Dieses Anliegen wird in dem virtuellen Raum "Der Dritten Kammer" vielseitig anschaulich gemacht. Die Differenz zwischen Wirksamkeit und Wirklichkeit ist ebenfalls ein maßgeblicher Bestandteil der Utopie. Jede Utopie verweist auf ein "Nirgendwo", einen Sehnsuchtsort, der Energien freisetzt, die Impulse zur Gestaltung der Welt in die Wirklichkeit abgeben. Uns interessiert an der Utopie aber nicht der Aspekt der Nähe zur möglichen Verwirklichung, sondern die geistige Wirkkraft, die eben auch von der Realität weit entfernte Erfindungen in ihrem Bannkreis duldet. Der Utopie steht die Heterotopie gegenüber, die nach einer frühen Definition Foucaults der Traumebene der Kindheit verhaftet ist und die uns als Malern den Freiraum zur Erschaffung von Wunschorten liefert. In unseren Bildern entwickeln wir heterotope Szenarios, die sich - ausgehend von einem utopischen Entwurf - aus der Realität in die Welt der Vorstellungen als komplexes, undurchschaubares Gebilde bauen und so einen permanenten Bedeutungstransfer erzeugen.

Dieser subversive Vorgang ist Grundlage aller Wunschwelten, die weit über eine bloße Planungsrelevanz hinausgehen. Die Malerei ist ein wirksames Medium, den Übergang von der Planung zur Ausführung dieser Wunschgebilde darzustellen. Eine differenzierte Darstellung dieser Gebilde kann mit Hilfe des Rechners eine Präzision annehmen, die bei einem reinen Rückgriff auf die Vorstellungskraft zu ganz anderen Ergebnissen führen würde. Ihre digitale Konstruktion verändert die Zielvorgaben und erhöht die visuelle Glaubhaftigkeit der Erfindungen. Denn obwohl man weiß, daß diese Welten künstlich konstruiert sind, verführt die Glaubwürdigkeit der Erscheinung zu einer erhöhten Wirksamkeit der Bilder.

Da die Malerei dem Vorwurf, aufgrund ihrer Statik und Handwerklichkeit nicht gesellschaftsverändernd wirksam zu sein, nur schwer entgegenwirken kann, bietet sich ein Ausweg in der Aufnahme von belebenden Impulsen aus anderen Medien. Zieht man die explosionsartige Entwicklung der digitalen Bildtechniken in Betracht, so liegt es nahe, sich als Maler dieser unerschöpflich wirkenden Neuerungen zur Bilderzeugung zu bedienen. Jeder, der mit digitaler Bilderzeugung und-verarbeitung in Kontakt kommt, muß den Schluß ziehen, daß sich dadurch die Malerei so verändern wird wie durch die Entdeckung der Photografie im 19. Jahrhundert. Wenn man kein Darwinist ist und den Rechner zunächst ganz unideologisch als neues Werkzeug begreift, so tun sich für die Malerei einfach eine Menge neuer Möglichkeiten auf.

Um die Fülle dieser Möglichkeiten erläutern zu können, ist es dienlich, zwischen 2D und 3D zu unterscheiden. Die 2D-Gestaltung liegt der Malerei zunächst näher, da sie ebenfalls auf der Fläche angesiedelt ist. Auch auf der 2D-Ebene muß man unterscheiden zwischen Bilderzeugung und Bildbearbeitung. Bestimmt hätten sich einige Hard-Edge-Maler nach einem vektor-orientierten Programm gesehnt, weil es damit ein Kinderspiel ist, exakte Flächen zu kreieren und mit jeder beliebigen Farbe zu füllen. Unendlich viele Farbkombinationen mit großem Nuancenreichtum zu erzeugen und sofort ausdrucken zu können, erleichtert ungemein die Vorarbeit zur Bildfindung.

Die pixelorientierte Bildbearbeitung hingegen mit einem Programm wie Photoshop oder Painter ermöglicht präzise Eingriffe in Bildvorlagen. Das Manipulieren von Ausgangsmaterial durch Tools oder Filter erzeugt Bildvorstellungen, die so vorher nicht erzeugt werden konnten und nun als Malereivorlage tauglich werden. Da die meisten Programmierer Techniker sind und keine Künstler, finden hier oft die banalsten Stilentscheidungen Eingang in die Programmiersprache. "Auto-van-Gogh", "Flämische Schule", "Seurat" sind Filternamen, die die Klischeehaftigkeit der Wahl dieser Stilzitate belegen. Hier eröffnet sich natürlich auch ein weites Feld, durch einen "Zwangs-Surrealismus" zu den erbärmlichsten Kitschergebnissen zu gelangen. Und diese bestimmen ja schon jetzt auf breiter Front unseren Alltag.

Wenn man vom Mißbrauch dieser Filter zur Kitscherzeugung absieht, so kann man andererseits Tools entdecken, die es in der Malerei bis dahin so nicht gegeben hat. Da werden zum Beispiel die Möglichkeiten der Dunkelkammer mit klassischen Malereieffekten multipliziert und vom "Stempel" bis zu "Farbig abwedeln" wird man mit den vielfältigsten Effektangeboten bedient. Voraussetzung für einen effektiven Einsatz dieser Filter und Tools zur Bereicherung der Malerei ist deren präzise Beherrschung und natürlich absolute inhaltliche Entschiedenheit. Dann können sich diese Effekte mit den Möglichkeiten der Tafelmalerei durchaus messen. Zudem macht das Arbeiten mit Ebenen und Kopien die Darstellungs-Prozesse transparent und exakt steuerbar.

Bei all diesen berauschenden Neuerungen am Monitor, setzt allerdings dann die Ernüchterung ein, wenn es darum geht, ein dem Tafelbild ebenbürtiges Ausgabemedium zu finden, es sei denn man will nicht mehr als einen Cybachrom-Print. Den heute verfügbaren und erschwinglichen Ausgabemedien fehlt immer noch die sinnliche und materielle Präsenz des gemalten Bildes. In dem Moment allerdings, wenn die Plottertechnik denselben Entwicklungsschub macht, wie die Bildbearbeitung, und große Formate auch jenseits einer gewollten Pixel-Ästhetik möglich werden, ist es in der Tat nur noch eine Frage der Wahl, ob man sich einem gemalten oder einem ausgedruckten Bild zuwendet. Ersetzen jedoch wird auch der Computer das Tafelbild nicht.

Diese erweiterten Arbeitsmöglichkeiten werden also von Malern gesehen. So oder so paraphrasieren sie die unbefriedigenden, nicht lichtechten Ausdrucke mit der Fülle der Mittel der Malerei. Dieser historische Augenblick ist dem der späten 60iger vergleichbar, als die Fotorealisten erkannten, daß sie aus kleinen Farbfotos große Tafelbilder erzeugen konnten, weil es noch keine farbige Großfotografie gab. In seiner erneuernden Dimension jedoch reicht der jetzige Augenblick über dieses kurze Stil-Intermezzo weit hinaus.

Gemessen an dieser ziemlich konventionellen Bearbeitung der Bildfläche auf der Ebene des 2D, ermöglicht die 3D-Gestaltung eine Art Quantensprung in der Darstellung. Auf der 3D-Ebene können jetzt Szenarien erfunden werden, deren perspektivische Glaubwürdigkeit überzeugt. In der Vergangenheit waren vergleichbare Ergebnisse nur auf High-End-Maschinen zu astronomischen Preisen zu erzielen und deren Bedienung war ohne intensive vorherige Schulung undenkbar. Die Explosion der Speicher-Kapazitäten wird die Darstellungsmöglichkeiten in den nächsten Jahren unausweichlich perfektionieren. Das Interesse der Industrie an diesem mächtigen Manipulations-Instrument ist so groß, daß die Künstler - natürlich mit der Aufgabe, dieses Interesse inhaltlich zu unterlaufen - davon profitieren werden. Neben der Fotografie wird sich das 3D-Modelling zum wichtigsten Vorlagen-Werkzeug für Maler entwickeln: "Hammer und Meißel für junge Götter" - wie eine Computer-Werbung sinnträchtig verheißt.

In einem 3D-Programm ist es möglich, einen mathematisch erzeugten Gegenstand wie eine Skulptur zu formen und mit einer virtuellen Kamera zu umfahren. Im Unterschied zu einem 2D-Programm, in dem nur eine Ansicht darstellbar und bearbeitbar ist, sind die Gegenstände in einem 3D-Programm wie in einem Bühnenraum gestaffelt angeordnet. Zunächst werden Gitterformen erzeugt, die in einem zweiten Schritt mit Texturen überzogen werden und so dem Gegenstand seine illusionistische Materialität geben. Es werden also Welten generiert und kombiniert, die so vorher nicht gedacht werden konnten.

Unsere Arbeitsweise hat sich durch das 3D-Modelling radikal verändert. Früher bauten wir Gartenmodelle, die wir bemalten oder "roh" ließen. Mit komplizierten Beleuchtungsexperimenten, deren Ergebnisse oft unbefriedigend ausfielen, fotografierten wir diese Modelle. Die Fotos verwendeten wir dann auch als Bildvorlagen, weil sie zur räumlichen Klärung und perspektivischen Präzision dienlich waren - manchmal nicht mehr. Der Malerei war auf dieser Grundlage immer noch ein weiter Spielraum zur Eigendynamik gelassen und das Repertoire zur Erzeugung von Stimmungen entwickelten wir stark aus der Vorstellung. Der Vorteil des 3D-Modelling ist jetzt, daß nicht nur das Modell erzeugt werden kann, sondern auch die es umgebende Landschaft, der Himmel in allen Stimmungen und Beleuchtungssituationen, sprich eine präzis bestimmte Atmosphäre. Mit der Kamera im virtuellen Raum suchen wir dann den besten Standpunkt, um das Konstrukt von dort aus optimal zu rendern.

Alle Gesetze der Perspektive werden in diesem Prozeß automatisch eingehalten. Was früher aufwendig konstruiert werden mußte, liefert jetzt das Programm mit gleichbleibender Genauigkeit. Die Bildvorlage läßt sich also so präzise gestalten, daß nicht nur die räumliche Klärung sichergestellt ist, wie vorher bei den selbstgebauten Fotos, sondern auch sämtliche anderen Parameter vorgegeben werden können. Trotzdem ist uns auch jetzt noch wichtig, daß die Malerei nach dem Kopieren der Vorlage eine Eigendynamik behält. Wir loten malerische Prozesse aus, die über die Darstellungsmöglichkeiten der Vorlage hinausgehen. Diese Differenz ist für uns ein immer wiederkehrendes bildnerisches Anliegen. Die Vorlage stellt ein verfeinertes Gerüst dar, auf dem sich die Bedeutung des Malvorgangs in einen ganz anderen Bereich verschieben kann als das bei der Arbeit aus der reinen Vorstellungskraft heraus der Fall war.

In der Moderne wurde die Perspektive programmatisch vernachlässigt. Die Entdeckung der Fotografie war Grund für die Entwicklung der Malerei hin zur reinen Fläche und sie diente in der Folge als Ersatz für die Darstellung von perspektivischen Räumen. Perspektivische Malerei setzte schon immer intensive Lernprozesse voraus. Das 3D- Modelling könnte eine Rückkehr der Perspektive in die Malerei bedeuten, ohne ihre kulturkonservativen Implikationen mittragen zu müssen, da die Ästhetik der zu erfindenden Welten neu zu definieren wäre. Das Feld des reinen Formalismus ließe sich so in Richtung eines "besseren Ortes" verlassen.