"Das Falster Versuchsgelände im Juni 1999", Kunstverein + Kunsthalle,
Das Fridericianum Magazin, Kassel, Nr. 3, Sommer 1999,

Bittermann & Duka über das Projekt "Falster Versuchsgelände"
der Galerie für Landschaftskunst, Hamburg


DAS FALSTER VERSUCHSGELÄNDE IM JUNI 1999


Das "Falster Versuchsgelände" liegt an einer breiten, neu angelegten Landstraße auf einer sanften Erhebung. Es heißt, hier sei der höchste Punkt von Falster, 35 Meter über dem Meeresspiegel. Seiner Zufahrt ist eine große, baumbestandene Wiese vorgelagert. Die Form des Geländes ergibt fast ein Trapez, das allseitig von einem hohen Flechtzaun umgeben ist. Direkt an diesen Zaun ist eine 3 bis 4 Meter hohe, dicht gewachsene Hecke gepflanzt, die das gesamte Areal vor Wind und neugierigen Blicken von Aussen abschirmt. Aber auch von Innen verleiht diese Hecke dem Areal den Eindruck eines abgeschlossenen, von Ausseneinflüssen unberührten Ortes. Diese Abgeschlossenheit erlaubt es, das Grundstück wie ein "Garten-Labor" zu begreifen und hier Eingriffe vorzunehmen, die in einer offenen Situation ganz anders ausfallen würden.

Der Garten ist in seiner allgemeinen Lesart eine unbewußte, sehr persönlich interpretierte Form eines miniaturisierten Englischen Landschaftsgartens und enthält zudem Elemente, die man als Anleihen an verschiedene Garten-Stilepochen verstehen kann. Ihn durchzieht ein märchenhafter Zug mit kleinen Andeutungen verschiedener Natur-Erzählungen. Lernt man seine Geschichte kennen, so versteht man, daß er sein Aussehen einem Aufeinandertreffen merkwürdiger Umstände zu verdanken hat.

Durch ein schweres Metallgatter und die Auffahrt hinauf gelangt man zum Hauptgebäude, das mit auf Holz gesetzten Lettern "Farmen" überschrieben ist. Zum ersten Mal wurde hier 1895 ein Gebäude errichtet und seitdem ist auch das Gelände - mit Unterbrechungen - bewohnt. Linkerhand liegt ein üppiger, alter Obst- und Gemüsegarten, der direkt an die Vorderseite des Grundstücks anstößt. Große ertragreiche Birnbäume stehen in sauberen Reihen, gesäumt von Johannisbeersträuchern. Das Alter der Bäume erklärt sich aus der Tatsache, daß etliche Bewohner der Vergangenheit vom Obstanbau auf diesem Stück Land lebten. Angrenzend an den Obstgarten steht ein kleines Glashaus, in dem Rosen und Tomaten gezogen werden. Daran schließt der Kräutergarten an.

Das freistehende Quergebäude aus dem Jahr 1950, das ehemals Stall oder Lager war, beherbergt nun eine Etiketten-Druckerei. Den etwas veralteten Maschinenpark haben die Besitzer mit technischem Erfindungsreichtum auf einen konkurrenzfähigen Stand gebracht. Sie haben sich geschickt ein System erarbeitet, das sie mit relativ geringem Aufwand finanziell autark hält. Gleichzeitig läßt es sie auf einem Anwesen leben, das herrschaftliche Ausmaße hat.

Rechts unterhalb des Wohngebäudes, das nach zwei Seiten hin von einem bunt bepflanzten Ziergarten umgeben ist, beginnt das eigentliche Gartenareal. Wir blicken vom Haus aus auf einen See. Der übergangslos ins Wasser abfallende Rasen, der sich großzügig vom Haus bis zum See erstreckt, erinnert an einen "pleasureground". Er schwingt ganz leicht unter den Schritten, was auf einen moorigen Grund schließen läßt. Aus der linken Mitte des Sees steigt steil eine vielleicht 6 Meter hohe Fontäne empor, die der Gartenbesitzer selbst gebaut hat. Die sie betreibende Pumpe steht versteckt in einem Holzkasten am Ufer. Das Wasser des Sees ist frisch und doch dicht durchlebt von Algen, Insekten, Blutegeln, Fischen und Vögeln. Auf seiner Oberfläche treiben Blühten und Blätter in geschwungenen milchigen Flächen. Von einem selbstgebauten Steg aus kann man ein Ruderboot besteigen, mit dem man auf den See hinausgelangt. Unter Wasser schimmert die sonnenbeschienene Schicht gelbgrün und der Blick reicht nicht weiter als zwei Hand breit. Darunter ist der See dunkel und ungemütlich eisig.

Die Besitzer des Geländes erzählen Geschichten über den See und beschreiben ihn als halb natürlich, halb von Menschenhand geschaffen. Das Seegebiet soll einst ein Sumpf gewesen sein. Schon während des ersten Weltkriegs hätten hier die Dänen aus Brennstoffmangel eigenhändig Torf zu stechen begonnen. Und auch im zweiten Weltkrieg hätte der Torf den Menschen die kalten Kriegswinter zu überstehen geholfen. Nach dem Krieg allerdings hätte man das Moor sich selbst überlassen. Es soll damals in einer Tiefe von circa 6 Metern abgestochen gewesen sein und das Grundwasser sei danach zutagegetreten. Langsam mit den Jahren sei das Wasser immer höher gestiegen bis der See seine jetzige Form angenommen hätte.

Bevor die heutigen Besitzer den Garten zu dem machten, was er nun ist, lebte hier ein alter Gärtner, der das Grundstück gepachtet hatte. Er arbeitete in einer Gärtnerei, die einige Kilometer von seinem Anwesen entfernt lag. In seiner freien Zeit erfüllte er sich den Wunsch, auf seinem Gelände all die Bäume und Sträucher zu pflanzen, die er besonders liebte. Am See legte er einen Schilfgürtel an, pflanzte Weiden, viele andere Bäume, Büsche, Gräser und setzte Seerosen ins Wasser. Mit der Zeit aber verließ ihn die Kraft und er konnte sich nicht mehr richtig um die Pflanzen und den See kümmern. So drangen Leute in das Grundstück ein, die es wegen seiner Verwilderung für unbewohnt hielten und luden ihren schwer loszuwerdenden Schrott in den See. Er wurde zur Müllhalde und verwahrloste völlig.

Als die jetzigen Bewohner das Areal vor sieben Jahren übernahmen, lag eine große Aufgabe vor ihnen. Sie entmüllten den See, lichteten alle Pflanzungen, entfernten tote und verkrüppelte Bäume aus den zu beiden Seiten des Sees liegenden Wäldchen. Am Seeufer schnitten sie Büsche und Bäume heraus, um Blickachsen quer durch das Gelände zu erzeugen. Den zugewucherten Rasenstreifen rings um den See rodeten sie und trimmen ihn seitdem regelmäßig, um einen fast allseitigen Zugang zum See zu ermöglichen. Intuitiv wählten sie einige neue Bäume und Sträucher, um die alte Pflanzung zu ergänzen. Der besonderen Pflanzenwahl des alten Gärtners jedoch ist die intensive Stimmung der Garten-Anlage zu verdanken. Auch wenn sich die neuen Besitzer liebevoll und mit großer Sorgfalt den Pflanzen zuwenden, so ist doch seine erste Anpflanzung vor vielen Jahren der eigentliche Kern des Geschehens und bestimmt immer noch die grundlegende Ordnung der gepflanzten Dinge.

Die Fürsorge der neuen Besitzer gilt aber nicht nur den Pflanzen, sondern auch den Vögeln. Überall auf dem Gelände finden sich Vogelhäuser, die sie selbst gebaut haben. An vielen Bäumen hängen kleinere Nistkästen. Auf dem See schwimmen einige spitzgieblige Entenhäuser, in die Enten gerade Nester gebaut und schon mit dem Brüten begonnen haben. Am linken Seeufer steht ein großes altes Entenhaus, dessen schütterer gelb-roter Anstrich von Moosen und Flechten überzogen ist. Es ist das einzige, das schon lange vor dem Einzug der jetzigen Besitzer hier aufgestellt wurde. Seine Ausstrahlung macht diesen Teil des Seeufers mit einigen Blautannen, Fichten und einem üppigen Bambusbusch zu einem Ort, den die Gebrüder Grimm in Zusammenarbeit mit einem japanischen Tee-Meister hätten erfinden können. Auch das Entenhaus im hinteren biotophaften Teil des Geländes erzeugt den eigenwilligen Eindruck einer wilden Miniatur-Landschaft. Um das Wohnhaus herum hängen einige Futterspender in den Bäumen, die von vielen Vögeln intensiv besucht werden. Diese Umsicht hat so eine reiche Anzahl von verschiedenen Vogelarten angezogen, daß man bei Sonnenaufgang von einem vielstimmigen Konzert geweckt wird.

Neben den Pflanzen, deren Gattung und Herkunft Auskunft über Geschmacksentscheidungen liefern wie es Bilder und Skulpturen in einer Wohnung tun, und den Vogelhäusern sind es die Gartenskulpturen, die das Ambiente des Gartens ausdrücklich mitbestimmen. Einige modernistische Stahlskulpturen sieht man gleich an der Einfahrt und sie waren schon Teil des Anwesens, als die jetzigen Besitzer das Gelände übernahmen. Eine weiße Vogeltränke, eine anthrazitgraue Flora-Statue und eine griechische Olivenöl-Amphore stehen direkt am Wasser. Eine Sonnenuhr und eine gemauerte Springbrunnenanlage mit barockisierender Innenschale haben ihren Platz neben der Terrasse. All diese Gebilde wurden in einem Garten-Center erstanden. Das Serielle und stilistisch Undefinierte mit seiner unartikulierten Sehnsucht nach Schönheit dieser Garten-Center-Produkte verleiht dem Areal etwas Begrenztes.

Das ganze Szenario wirkt ein wenig schief. Die unwillkürlichen Stilzitate bleiben eher einem persönlichen Bedeutungskanon verhaftet: Seien es Entscheidungen, die dem Formalen Garten entlehnt sein könnten, wie die hufeisenförmige Hecke, in die eine angedeutete Allee entlang des Sees mündet, seien es landschaftsgärtnerische wie die Melancholie und Distanz erzeugenden großen Weiden mit ihren langfingrigen, schwer herabhängenden Blättern am gegenüberliegenden Seeufer. Keine dieser Entscheidungen weist etwas von der Vielschichtigkeit der zitierten historischen Gartengedanken auf. Dennoch wird gerade durch die hier stattfindende Miniaturisierung und Banalisierung großer gärtnerischer Erfindungen das sichtbar, was das "Falster Versuchsgelände" so anziehend macht: die Konfrontation mit einer stark vorgeformten Modellsituation.

Überall sind vermeintliche "déjà vus" wirksam, verlieren sich dann aber doch in einer privaten Codierung. Diese Ambivalenz aus vordergründigem Wiedererkennen und willkürlicher Entschlüsselung kann jedoch auch zu einem maßgeblichen Motor für die Auseinandersetzung mit diesem Stück Land werden. Dekoration dominiert hier eindeutig Funktion. Man kann sich den dekorativen Elementen des Areals stellen und ihre Bezüge weiterdenken, kann sie aber auch ignorieren und so zu seiner möglichen Umdefinierung beitragen. So oder so erfordert das "Falster Versuchsgelände" eine präzise Stellungnahme und das trotz oder gerade wegen seiner so eindringlich, naiv durchkomponierten Inszenierung von Naturstücken.