DIE DRITTE KAMMER - SAMENKAPSELN (Warschau/Berlin 2002)

Wettbewerbsteilnahme zur Neugestaltung der
"Deutschen Botschaft in Warschau", Polen,
mit Urs Füssler (Architekt, Berlin)
Bittermann & Duka (Künstler, Berlin)
Stephan Bracht (Landschaftsarchitekt, Münster)
René Meurich (Statiker, Berlin)



Der Aussenraum

Zur Zeit sind auf dem Gelände der Deutschen Botschaft in Warschau zwei Zeitschichten ablesbar. Zum einen gibt es den ca. 120 Jahre alten Solitärbaumbestand, der überwiegend aus Spitzahorn, Linde, Rosskastanie und Bergahorn besteht. Dieser Baumbestand steht in Verbindung mit dem existierenden Gebäude auf dem Gelände und wurde mit seiner Errichtung Ende des 19. Jahrhunderts angelegt. Der vorhandene Obstbaumbestand auf dem Gelände stammt aus der Zeit nach dem 2. Weltkrieg. Er verweist auf die hier in der Zeit der kommunistischen Regentschaft von Stadtbewohnern bewirtschafteten Kleingärten, welche nach dem 2. Weltkrieg vermutlich zur Selbstversorgung auf dem Gelände angelegt wurden.

Mit der Errichtung eines neuen deutschen Botschaftgebäudes wird nun eine dritte Zeitschicht auf das Gelände gelegt. Durch Ergänzung und Freistellung der vorhandenen Obstbäume, Freistellung der markanten alten Solitärbäume und die Einstreuung von quasi autonomen Skulpturen, den "Samenkapseln", werden die drei Zeitschichten herausgearbeitet. Alle drei Zeitschichten erzählen dem Betrachter nicht nur etwas über die Geschichte des Ortes, sondern auch über die politische und gesellschaftliche Geschichte Polens in den vergangenen 120 Jahren und auch etwas über die verschiedenen Interpretations-Möglichkeiten von Gechichte.

Der Baumbestand sollte weitestgehend erhalten bleiben. Nur die stark von Krankheiten befallenen und von hohen mechanischen Schäden betroffenen Bäume wären zu fällen. Das wesentliche gestalterische Element bildete die Erzeugnung mehrerer "Orte", die kompositorisch gleichmäßig über das Gelände verteilt wären. Diese "Orte" verstärkten schon ansatzweise vorhandene Stimmungen auf dem Botschaftsgelände durch das Errichten von Clustern aus den variationsreich bepflanzten "Samenkapseln" aus Beton. Diese Kapseln wären in Dreier-und Fünfergruppen in sich sanft erhebenden Erdmodulationen zu immer neuen Figuren zusammengestellt, und umgeben von schon vorhandenen und neu gepflanzten Bäumen und Büschen erzeugten sie besagte "Orte", an denen Steinbänke zum Verweilen einladen könnten.

Die eingestreuten "Samenkapseln" wären bis zu 3 m hohe, abstrakte Betonskulpturen,die innen hohl und mit Bodensubstrat gefüllt wären. Jede Skulptur hätte unterschiedlich große, runde und eckige Öffnungen, welche als Ausstülpung oder Einhöhlung modelliert wären. Diese Öffnungen würden mit einer Initialpflanzung, entweder aus der heimischen Baumart Birke, Esche oder Spitzahorn bepflanzt, so dass für jede Skulptur die grundsätzliche Pflanzenauswahl vorgegeben wäre. In der weiteren Entwicklung sollte die genannte Initialpflanzung nur noch von heimischen Pflanzenarten ergänzt werden, die sich hier durch natürliche Flugsamenvermehrung ansiedelten. Durch extensive gärtnerische Pflege sollte jede Betonskulptur einen eigenen, von den Pflanzen bestimmten Habitus erhalten. Die vorhandene Krautschicht auf dem Gelände sollte in großen Teilen erhalten bleiben. Durch unterschiedliche Pflegeintensität liessen sich die unterschiedlichen Zeitschichten auch am Boden ablesen.

Jeder "Ort" vermittelte somit eine Spezifik durch seine Bepflanzung. Die Erdmodulationen der Cluster wären eine Weiterentwicklung der auf dem Gelände vorhandenen Unebenheiten des Erdreichs und könnten diese in das Gesamtbild der Anlage integrieren. Im vorderen linken zur Straße hin gelegenen Teil des Gartens sollte der vorhandene Baumbestand zu einem Hain aus Obstbäumen aufgeforstet werden, alle anderen Bereiche der Gartenanlage würden zu besagten "Orten" verdichtet und ausserdem könnte man großzügige Durchblicke erzeugen, die mit der Offenheit des ebenfalls geplanten 2 m hohen, transparenten, kameraüberwachten Stahlzauns korrespondierten.

Alle Orte der drei Zeitschichten reihten sich in zufälliger Folge aneinander und schafften unterschiedliche Räume mit unterschiedlichen Atmosphären. Auf ein vorgegebenes Wegesystem außerhalb des hausnahen Bereiches würde man bewusst verzichten, so dass jeder Betrachter seinen ganz eigenen Weg durch den Garten wählen könnte. Der Betrachter würde beim Durchschreiten des Gartens von den unterschiedlichen Orten und Räumen überrascht und an bestimmten Stellen zum Aufenthalt eingeladen.

Dem Botschaftergartens würde demnach keine bezugslose Gestaltungsidee aufgezwungen, sondern die Idee entwickelte sich aus dem Ort und seiner Geschichte, der so auf behutsame Weise Rechnung getragen würde.